Archiv des Ortes
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Entwicklung einer multiperspektivischen Sichtweise

Die Sammlungen Schlieren und Oberengadin erzeugen auf mehreren Ebenen eine multiperspektivische Sichtweise auf den räumlichen Wandel in den beiden Gebieten:

- Das Bildmaterial in den gesichteten Beständen dokumentiert diejenigen Kategorien von Objekten, welche die Akteure vor Ort im Rahmen ihrer Tätigkeit, d.h. in ihrem spezifischen Feld räumlicher Praxis, erbauen, positionieren, nutzen bzw. die für sie Bedeutung haben. Die Sammlungen dokumentieren, wie sich Art und Gestaltung dieser Objekte sowie ihre Anordnung im Verhältnis zur Topografie im Verlauf der Zeit verändern.

- Eine Sammelstrategie, die auf die Bestände der Akteure vor Ort ausgerichtet ist, erfasst nicht nur die gemäss einem zeitbedingten architektur- und kulturhistorischen Kanon als wertvoll erachteten Objekte und Landschaftsräume. Sie dokumentiert ebenso die Entwicklung derjenigen Räume, welche den Alltag und die Lebensbedingungen einer Mehrheit von Bewohnern und Nutzern prägen.

- Die Sammlungen dokumentieren unterschiedliche Raumkategorien und unterschiedliche räumliche Strukturen in den beiden Gebieten. Das Bildmaterial aus den verschiedenen Produktionskontexten vermittelt je unterschiedliche Atmosphären dieser verschiedenen Raumtypen.

- Die Sammelpraxis ist auf aussagekräftige Bildreihen angelegt. Raumentwicklung wird als kontinuierlicher Prozess dargestellt. Das Bildmaterial ermöglicht die Dokumentation von unterschiedlichen, parallel ablaufenden Veränderungsprozessen in den beiden Gebieten.

- Orte und Landschaften in den beiden Gebieten werden nicht aus dem Blickwinkel von nur einer Gruppe von Akteuren und Bildproduzenten dargestellt, sondern in einer Pluralität von einander ergänzenden oder widersprechenden Sichtweisen. Die Sammlung dokumentiert die unterschiedlichen Bildwelten, welche die beiden Gebiete hervorbringen. Sie zeigt, welche Formen der fotografischen Repräsentationen von Raum für Schlieren und das Oberengadin charakteristisch sind.

Die beiden Sammlungen sind nicht nur als Quelle für Einzelbilder nutzbar, sondern bilden darüber hinaus als Ganzes eine fotografische Visualisierung des räumlichen Veränderungsprozesses in den beiden Regionen, ein visuelles Gedächtnis ihres räumlichen Wandels. Das fotografische «Bild» Schlierens und des Oberengadins wird nicht auf eine repräsentative Form der Ansicht von einem Blickwinkel aus reduziert. Es setzt sich zusammen aus einer Vielzahl unterschiedlicher, divergierender Sichtweisen. Die Frage nach der «Identität» der Regionen kann ausgehend von einer solchen Sichtweise neu und anders diskutiert werden.

Die Gegenüberstellung der unterschiedlichen fotografischen Wahrnehmungs- und Darstellungsformen macht die Medialität der Fotografie, ihre spezifische Form der apparativen Vermittlung von Wirklichkeit, wahrnehmbar. Sie ermöglicht eine Beobachtung «zweiter Ordnung»: Es wird gezeigt, wer Landschaften und Orte wie sieht, und wie sich diese Sichtweisen im Verlauf der Zeit verändern. Die Anlage der Sammlungen ermöglicht damit eine Nutzung nicht nur für Fragen der raumorientierten Forschung, sondern ebenso für Fragestellungen der Bildtheorie, der Fotogeschichte und der Kulturwissenschaften.

Vergleichbarkeit der Bilder

Für die Entwicklung einer multiperspektivischen Sichtweise ist neben einer möglichst grossen Bandbreite an Bildsprachen, Gegenstandsbereichen und Entstehungszeiträumen die Vergleichbarkeit von einzelnen Bildern bzw. von ganzen Beständen entscheidend. Voraussetzung für die Vergleichbarkeit von Bildern ist die Standardisierung ausgewählter Parameter. Die Auswahlkriterien «Räumliche Zusammenhänge», «Nachvollziehbarkeit des Aufnahmestandpunktes» und «Offener Bildraum» bilden für die gesamte Sammlung eine solche Form der Standardisierung. Sie lassen Raum für die Erfassung der Eigenheiten und spezifischen Qualitäten des Bildmaterials aus unterschiedlichen Produktionskontexten und Entstehungszeiten. Sie lenken aber die Aufmerksamkeit in allen Bildern auf die Darstellung von Raum: Das für die gesamte Sammlung gleichbleibende Element ist die Darstellung der Verknüpfung von im Raum platzierten Objekten.

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