Archiv des Ortes
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Bildersammlungen Oberengadin und Schlieren

Die Bildersammlungen Schlieren und Oberengadin bilden zwei modellhafte fotografische Sammlungen zur Raumentwicklung in zwei unterschiedlichen, für die Schweiz repräsentativen Kulturräumen. Sie beinhalten je ca. 2000 Fotografien und umfassen den Zeitraum von 1945 bis heute.
Die Sammlung Schlieren dokumentiert den räumlichen Wandel in einer Agglomerationsgemeinde im Mittelland. Die Sammlung Oberengadin macht sichtbar, wie sich ein Tourismusgebiet in den Bergen räumlich entwickelt.

Die Bildersammlungen sind Ergebnis der Bildrecherche Schlieren und Oberengadin. Im Rahmen der Recherche wurde untersucht, in welchen fotografischen Beständen vor Ort Bilder zur Dokumentation des räumlichen Wandels in den beiden Gebieten vorhanden sind. Untersucht wurden folgende Typen von Beständen: Archive von lokal und regional tätigen Hoch- und Tiefbaufirmen, von Architektur- und Planungsbüros, von lokal und regional bedeutenden Unternehmen, Fotodokumentationen von Gemeindeämtern, Gemeindearchive, lokale kulturhistorische Archive, Postkartenverlage, Sammlungen engagierter Amateurfotografen, Archive der Lokalpresse. Überregionale Pressebildarchive wurden stichprobenartig miteinbezogen.

Diese «Gebrauchsfotografie», die vor Ort produziert wird, bildet eine Quelle zur fotografischen Dokumentation von Raumentwicklung, welche in der raumorientierten Forschung bisher kaum bekannt und für die interessierte Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Die modellhaften Sammlungen Schlieren und Oberengadin zeigen, wie dieses Material zur Dokumentation des räumlichen Wandels in einem bestimmten Gebiet genutzt werden kann. Die anhand der beiden Regionen entwickelten Sammelstrategien und Auswahlkriterien lassen sich auf andere Gemeinden und Gebiete in der Schweiz übertragen.

Schlieren

Schlieren ist eine Agglomerationsgemeinde im Limmattal mit 13 000 Einwohnern und Teil der Metropolitanregion ZĂĽrich. Seit Ende des 19. Jahrhunderts hat sich der Ort vom Bauerndorf zum Industriestandort mit schweizweit bedeutenden Unternehmen entwickelt. Mit der Auslagerung der Produktion und dem Wegzug der Industrie in Folge der Globalisierung siedeln sich heute Technologie- und Dienstleistungsunternehmen an. Daneben ist der Autohandel ein wichtiger Wirtschaftsbereich. Rund um den alten Dorfkern und die Industriegebiete sind seit den 1960er Jahren grosse Wohnsiedlungen und Einfamilienhauszonen entstanden. Schlieren ist sowohl Zu- als auch Wegpendlergemeinde mit einer hohen Verkehrsbelastung.
In Schlieren lassen sich für das Schweizer Mittelland typische räumliche Veränderungsprozesse beobachten: Entwicklung vom Bauerndorf zur «Agglo», Anpassung des Lebensraums an den Verkehr, Bauboom und Ausbreitung des Siedlungsgebietes in die Landschaft, Zwischen- und Umnutzung der ehemaligen Industrieareale.

Oberengadin

Das Oberengadin zählt zu den wichtigsten Tourismusregionen des Landes. Seit Beginn des Tourismus in der Schweiz Mitte des 19 Jahrhunderts ist die Region kontinuierlich als Winter- und Sommerferienort entwickelt worden. St. Moritz als weltweit bekannte Destination ist Treffpunkt einer internationalen Oberschicht, Sils ist ein Anziehungspunkt für Gäste aus dem Kunst- und Kulturbereich. Neben dem Tourismus ist das Baugewerbe der wichtigste Wirtschaftszweig. In der Nebensaison zählt das Oberengadin ca. 19 000 Einwohner, während der Hochsaison steigt die Zahl auf bis zu 100 000 Personen an. Die Region gilt statistisch als Agglomeration, mit Pendlerverflechtungen ins übrige Graubünden und nach Italien.
Im Oberengadin lassen sich für Tourismusgebiete charakteristische räumliche Entwicklungen beobachten: Touristische Erschliessung der Berge und Inszenierung der Landschaft, Entwicklung und Ausbau der Infrastruktur für Winter- und Sommersport, Ausbau der Hotellerie und Parahotellerie, Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, Zersiedelung in Folge Zweitwohnungsbau, Umbau und Renovation der alten Dorfkerne.

Dokumentation räumlicher Veränderung durch die Akteure vor Ort

Die Bilder in den Gemeindeämtern, Bauunternehmungen und Firmenarchiven werden (mit Ausnahme weniger Bilder aus den 1950er/1960er Jahren, die von Berufsfotografen stammen) von den Mitarbeitern und Projektleitern selber fotografiert. Diese sind von ihrer fotografischen Ausbildung her Amateure. Sie sind jedoch Akteure und Experten für räumliche Praxis, mit einem ihrem Feld entsprechenden Blick auf Ort und Landschaft. Das Gleiche gilt für die Bewohner, engagierten Amateurfotografen und lokal ansässigen Berufsfotografen, die ihren Lebensraum dokumentieren. Als Bewohner sind sie Nutzer von Räumen und Orten, aber ebenso «Betroffene» der räumlichen Praxis: Ihr Lebensraum verändert sich aufgrund von Entscheidungen in Planung, Architektur, Wirtschaft, Politik.

Für den Tourismus sind Ort und Landschaft Teil des Produktes, das in den Tourismusregionen «hergestellt» und vermarktet wird. Die fotografische Darstellung von Orten und Landschaften ist ein eigener, integraler Bestandteil dieses Produktes. Die Bildwelt, die in der Postkarten- und Werbefotografie produziert wird, steuert Wahrnehmung und Nutzung des Oberengadins durch die Besucher.

Die in der Lokalpresse abgebildeten Fotografien zeigen diejenigen Orte und Landschaften in einem Dorf, einer Region, über deren Veränderung verhandelt werden. Sie zeigen räumliche Situationen, die Gegenstand politischer oder gesellschaftlicher Auseinandersetzung sind.

Darstellung von alltäglichem Lebensraum

Die Bilder in den Beständen vor Ort entstehen immer aus einem konkreten Anlass. Ämter und Baufirmen fotografieren einen Strassenzug, eine Landschaft dann, wenn eine Veränderung ansteht oder stattgefunden hat: Ein Gebäude wird fotografiert, wenn es neu erstellt ist, umgebaut oder abgerissen werden soll, Freiflächen werden vor der Überbauung oder Umzonung dokumentiert, die Strasse vor und nach dem Ausbau. Vorlagen für Postkarten und Werbefotografien werden dann neu fotografiert, wenn das Hotel renoviert, der Dorfkern umgestaltet, die neue Bergbahn in Betrieb genommen wurde. Bewohner halten fest, was für sie Bedeutung hatte und am Verschwinden ist, wie die Bauernhäuser im alten Dorfkern, die abgerissen werden, oder sie fotografieren Aus- und Neubauten, auf die sie stolz sind oder die irritieren.

Was in den Beständen der Gebrauchsfotografie dokumentiert wird, welche Bauten, Objekte, räumlichen Situationen dargestellt sind, wird nicht aufgrund ästhetischer Kriterien (z.B. der Architekturkritik) entschieden, sondern durch die Interessenslage bestimmt. In den Archiven der Baufirmen, Architektur- und Planungsbüros werden nicht nur herausragende Gebäude, sondern die «Durchschnittsarchitektur» dokumentiert, welche die Entwicklung von Ort und Landschaft prägt. Das gleiche gilt für die Dokumentationen der Gemeindeämter: Fotografierte Objekte, Terrains, bauliche Situationen werden nicht aus einem ästhetischen Interesse an der Landschaft, sondern aufgrund ihrer Bedeutung für Verkehr, Wirtschaft und Infrastruktur dokumentiert. Während die Postkarten- und Werbefotografie spektakuläre Landschaften, besondere Orte und Sehenswürdigkeiten zeigt, wird in den Archiven der Baufirmen und Gemeindeämter und den Sammlungen der Dorfbewohner der alltägliche Lebensraum sichtbar.

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